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Zur Wirksamkeit von Aussagen über die Testierfähigkeit

Das Oberlandesgericht Hamm hatte am 13.07.2021 (10 U 5/20) über den Beweiswert einer Aussage medizinischer Laien zur Geschäftsfähigkeit und zur Testierfähigkeit zu entscheiden, wobei vorauszuschicken ist, dass die Testierfähigkeit ein Unterfall der Geschäftsfähigkeit ist, an die weniger strenge Voraussetzungen gestellt werden, deren Vorhandensein aber nach denselben Kriterien geprüft wird.

Bei dem Fall, der dem Oberlandesgericht vorlag, ging es um einen Vater (Erblasser) mit zwei Söhnen. Im März 1996 schloss der Vater mit dem ersten Sohn (Kläger) einen Erb- und Pflichtteilsverzichtvertrag und setzte den zweiten Sohn (Beklagter) im April 1996 in einem Testament zu seinem Alleinerben ein.

Viele Jahre später, im August 2009, schlossen der Vater und der erste Sohn einen weiteren notariell beurkundeten Vertrag, in dem beide überein-stimmend erklärten, den Vertrag vom März 1996 aufzuheben. Als der Vater im Jahr 2017 verstarb und unstreitig von dem zweiten Sohn aufgrund des Testaments vom April 1996 allein beerbt wurde, machte der erste Sohn gegen seinen Bruder als Alleinerben den Pflichtteil geltend.
Der allein erbende Bruder (Beklagter) verweigerte den Pflichtteil mit der Begründung, der Aufhebungsvertrag vom August 2009 sei unwirksam, weil der Vater zu diesem Zeitpunkt nicht mehr geschäftsfähig gewesen sei, und beruft sich dabei auf Untersuchungen seines Vaters in den Jahren 2003 und 2004, bei denen ein Neurologe bei dem Vater mnestische Defizite festgestellt hatte, sowie auf weitere Untersuchungen einer Neurologin von Januar 2009, in denen bei dem Vater eine mäßig ausgeprägte Demenz bei Alzheimerkrankheit diagnostiziert wurde.

Der erste Sohn (Kläger) beruft sich dagegen auf den notariellen Aufhebungsvertrag vom August 2009 und argumentiert, der Notar hätte – wie es eingangs der Urkunde zu lesen ist – sich von der Geschäftsfähigkeit seines Vaters im Rahmen der Beurkundung aus erster Hand überzeugt, so dass hieran kein Zweifel bestehen könne. Der Vater wusste um die Bedeutung seiner Erklärungen vor dem Notar. Der Aufhebungsvertrag vom August 2009 sei deshalb wirksam und sein Pflichtteilsverzicht vom März 1996 damit gegenstandslos.

Das Oberlandesgericht gab dem zweiten, dem allein erbenden Sohn recht und wies die Klage seines Bruders auf Auskunft und Auszahlung des Pflichtteils zurück. Dabei beschäftigt sich das Gericht im Wesentlichen mit dem Beweiswert der Feststellung des Notars zur Geschäftsfähigkeit des Vaters und stellt dazu fest, dass für die Beurteilung der medizinischen Voraussetzungen der Geschäftsfähigkeit/Testierfähigkeit eine psychiatrische Facharztqualifikation erforderlich ist. Ein Notar verfüge nicht über das notwendige medizinische Fachwissen, um das Ausmaß einer Demenzerkrankung einzuschätzen, so das Gericht. Seiner Aussage sowie der Aussage anderer Personen, die mit dem Erblasser im fraglichen Zeitraum in sozialen Kontakt standen, komme wegen der fehlenden fachlichen Qualifikation kein besonderer Beweiswert zu.

Fazit: Wenn die Testierfähigkeit sicher nachgewiesen werden soll, ist weder eine Bestätigung des Notars ausreichend noch das Attest des Hausarztes. Erforderlich ist die Diagnose eines Neurologen.

Autor: Dr. Klaus Krebs

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